Erfinderische Tätigkeit

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Ist gemäß §4 PatG oder Artikel 56 EPÜ eine der Patentierungsvoraussetzungen, d. h. für ein Patenterteilung muss die Idee auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen.

Das ist dann der Fall, wenn die Erfindung sich für den Durchschnittsfachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Bei einer Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit werden noch unveröffentlichte, prioritätsältere Patentanmeldungen nicht berücksichtigt, vgl. § 4 S. 2 PatG.

Nicht alles, was neu ist, beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit. Lag es etwa nahe, bekannte Einzelvorrichtungen oder Einzelmaßnahmen miteinander zu kombinieren, dann kann es an einer erfinderischen Tätigkeit fehlen.

Beurteilung anhand des Durchschnittsfachmanns

Zur Beurteilung der Frage, ob die Neuentwicklung sich in naheliegender Weise aus dem bereits bekannten Stand der Technik ergibt, oder ob eine erfinderische Tätigkeit vorliegt, stellt § 4 Satz 1 PatG auf den Durchschnittsfachmann ab. Dieser verfügt, gestützt auf allgemeines Grundlagenwissen sowie Wissen auf technischen Nachbargebieten, auf seinem Fachgebiet über ein besonderes Wissen.

Eine erfinderische Leistung liegt nur dann vor, wenn die Erfindung für einen derartigen Fachmann keine routinemäßige Weiterentwicklung der schon vorhandenen Technik darstellt, sondern nur dann, wenn der bekannte Stand der Technik in einer Weise bereichert wird, dass sich die Erfindung insgesamt als eine geistig-schöpferische Leistung darstellt.

Demgegenüber steht eine bloß handwerksmäßige Weiterentwicklung. Zur Patenterteilung reicht es nicht aus, wenn das vorbekannte technische Wissen bloß in naheliegender Art und Weise angewendet wird, vielmehr muss die nutzbringende, neue Anwendung auch etwas Überraschendes an sich haben, es muss also eine besondere schöpferische und geistige Leistung "im Kopf des Erfinders" stattgefunden haben, um zum Erfindungsgegenstand bzw. zu einem erfinderischen Verfahren zu gelangen.

Letztendlich handelt es sich um eine mehr oder weniger objektive Bewertung des Erfindungsgehalts und der persönlichen Leistung des Erfinders. Die Bewertung wird stets dadurch erschwert, dass eine Ex-Post-Betrachtung stattfindet, bei der der Betrachter die Erfindung bereits kennt. Um die erfinderische Tätigkeit zutreffend und gerecht bewerten zu können, muss man aber gerade den Inhalt der Erfindung zunächst außen vorlassen, und darf nur den zuvor bekannten Stand der Technik berücksichtigen.

Häufig ist es schwierig, das bis zu der Erfindung vorhandene Fachwissen zu identifizieren und zu bewerten. Kann man beispielsweise feststellen, dass zur Lösung der erfindungsgemäßen Aufgabe bislang Versuche gemacht wurden, die sämtlich in eine andere Richtung gingen, kann man daran ein Anzeichen für die erfinderische Tätigkeit der nun zu beurteilenden Neuentwicklung sehen. Denn in diesem Fall hat die neue technische Lehre für einen Durchschnittsfachmann offenbar nicht nahegelegen.

Vorliegen von erfinderischer Tätigkeit

Die erfinderische Tätigkeit kann sich also daraus ergeben, dass bislang allgemein vorhandene oder eingewurzelte (Fehl-) Vorstellungen nicht angewendet oder überwunden wurden.

Allerdings wird eine technische Fehlvorstellung nicht schon dann überwunden, wenn gegenüber der Erfindung zurecht bestehende Bedenken einfach ignoriert und mit ihr verbundene Nachteile gleichwohl in Kauf genommen werden.

Hat die Fachwelt hingegen die erfindungsgemäße Lösung zuvor für technisch nicht ausführbar oder den mit ihr erzielten technischen Erfolg für nicht erreichbar gehalten, und wurde sie durch die Erfindung eines Besseren belehrt, dann ist das Vorliegen der erfinderischen Tätigkeit zu bejahen.

Ebenso kann es für das Vorliegen erfinderischer Tätigkeit sprechen, wenn zur Auffindung der neuen Lehre besondere Schwierigkeiten zu überwinden waren. Stets ist dann allerdings zu beschreiben, um welche Schwierigkeiten es sich handelte.

Auch ein in der Fachwelt seit langer Zeit vorhandenes ungelöstes Bedürfnis, das durch die erfindungsgemäße Lehre gelöst wird, kann eine erfinderische Tätigkeit begründen. Auch die Lösung eines neuen Bedürfnisses kann hierzu ausreichen. Gleiches gilt für die Überwindung bestehender technischer Vorurteile, insbesondere wenn dies zu einer Leistungsverbesserung führt, oder wenn ein neuer, wesentlich vereinfachter Lösungsansatz gefunden wurde.

So kann etwa der auf den ersten Blick naheliegende Einbau einer bekannten Vorrichtung in eine bekannte Maschine auf erfinderischer Tätigkeit beruhen, wenn dadurch eine Konstruktionsvereinfachung, verbunden mit einer Leistungsverbesserung in der praktischen Anwendung, erzielt, und somit ein seit langem bestehendes Problem gelöst wird.

Bei der notwendigerweise erst rückschauend vorzunehmenden Betrachtung sind die Schwierigkeiten, eine einfache Lösung ohne Qualitätseinbuße zu entwickeln, nicht leicht zu erkennen. Die erforderliche erfinderische Tätigkeit kann jedenfalls nicht verneint werden, wenn der Durchschnittsfachmann es überraschend fände, dass noch niemand auf die - im nachhinein - so einfache Lösung gekommen ist.

Die Betrachtung hat nach objektiven Kriterien zu erfolgen, es geht nicht darum, ob der Erfinder selbst subjektiv der Meinung ist, etwas Besonderes geschaffen zu haben.

Patentrechtlichen Prüfung

Bei der patentrechtlichen Prüfung geht man in der Regel vom druckschriftlich vorhandenen Stand der Technik aus, um zu prüfen, ob sich aus diesem Hinweise oder Anregungen für die zu beurteilende Erfindung und Weiterentwicklung ergeben. Hatte der Durchschnittsfachmann aufgrund dieser Unterlagen keine Veranlassung, das bislang Bekannte weiterzuentwickeln, lagen beispielsweise auch zu überwindende Nachteile und deren Ursachen nicht klar auf der Hand, so dass für eine Weiterentwicklung keine technische Veranlassung bestand, kann in der Regel die erfinderische Tätigkeit bejaht werden.

Schon in dem Auffinden einer Ursache für einen technischen Nachteil kann der erste Teil einer erfinderischen Tätigkeit gesehen werden, wenn daraus eine neue technische Lösung abgeleitet wird.

Andererseits soll die Aufgabe als solche noch kein Teil der Erfindung sein und somit auch keine erfinderische Tätigkeit begründen können.

Denn die Aufdeckung eines Nachteils, die schon eine sehr überdurchschnittliche Leistung beinhalten kann, bereichert den Stand der Technik noch nicht.

Für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ist grundsätzlich unerheblich, ob der Erfinder zufällig auf die Erfindung gestoßen ist, oder ob diese großer Arbeit und Mühe, insbesondere des Einsatzes von Zeit und Geld, bedurfte.

Den bereits angesprochenen Durchschnittsfachmann zu definieren, ist zugleich schwierig, aber auch vorentscheidend für die Frage des Vorliegens erfinderischer Tätigkeit. Auf einem einzelnen Fachgebiet ist der Durchschnittsfachmann noch relativ leicht zu bestimmen, betrifft die Erfindung jedoch ein interdisziplinäres Fachgebiet, so wird es schon sehr viel schwieriger. Im Ergebnis kann die erfinderische Tätigkeit nur bejaht oder verneint werden. Im Zweifel ist sie eher zu bejahen, als zu verneinen. Handelt es sich bei der Erfindung um eine besonders herausragende Leistung, ist die Frage einfach zu entscheiden. Aber auch bei Leistungen, die gerade noch als erfinderisch zu betrachten sind, ist im Ergebnis die erfinderische Tätigkeit zu bejahen.

Bei der späteren Betrachtung des Schutzbereichs eines Patents ist natürlich zu berücksichtigen, ob es sich um eine Pionier-Erfindung oder nur um einen geringen technischen Fortschritt gehandelt hat.

Auch die nicht naheliegende Auswahl aus einer Reihe von prinzipiell bereits bekannten Möglichkeiten kann erfinderisch sein. Ein durch die Erfindung erzielter, besonderer technischer Fortschritt ist zwar nicht mehr Patenterfordernis, stellt aber ein Beweisanzeichen für erfinderische Tätigkeit dar. Wenn die Erfindung die Technik bereichert, d.h. wenn Sie der Technik ein neues Mittel zur Herbeiführung eines für die Allgemeinheit nützlichen Erfolgs an die Hand gibt, ist die Erfindungshöhe anzuerkennen.

Durch die Erfindung wird also etwas Zusätzliches im Vergleich zu dem bereits Bekannten bereitgestellt. Die Bereicherung kann z.B. erfolgen durch:

- Bereitstellung eines grundsätzlich neuen Weges zur Befriedigung eines Bedürfnisses, z.B. die Eröffnung eines neuen Gebietes oder die erstmalige Lösung einer Aufgabe.

- Vermehrung technischer Möglichkeiten, z.B. durch Alternativen, Reservemittel oder einen weiteren Weg zur Lösung einer Aufgabe.

- Neue oder bessere Mittel zur Lösung einer technischen Aufgabe.

Beispiele für das vorliegen von erfinderischer Tätigkeit

Verbilligung, Vereinfachung, Qualitätsverbesserung, Zeit-, Material-, Arbeitsstufen-, Ko-sten- oder Rohstoffersparnis, Fehlerbeseitigung, Erweiterungsfreiheit, höhere Ausbeute, größere Effektivität, wertvolle oder überlegene Eigenschaften eines Stoffes, Auto-matisierung und andere Vorteile mehr.

Auch besonders unerwartete technische Effekte sind denkbar, z.B. eine katalytische Wirkung oder ein synenergistischer Effekt. Das Zusammenwirken verschiedener Elemente, deren Wirkung in ihrer Kombination anders oder größer ist als die Summe ihrer Einzelwirkungen, kann daher ebenfalls einen technischen Fortschritt bedeuten und somit erfinderische Tätigkeit begründen.

Überprüfung der erfinderischen Tätigkeit

Falls ein technischer Fortschritt geltend gemacht wird, muss er ggf. glaubhaft gemacht werden. Dies geschieht durch Vorlage nachprüfbarer Belege, etwa Gutachten, Versuchsberichte, Vergleichsversuche gegenüber dem nächstliegenden Stand der Technik, ggf. durch Anhörung eines Sachverständigen.

Bei der vorzunehmenden Prüfung ist es erlaubt, die Offenbarungen aus mehreren Quellen, beispielsweise druckschriftlichen Stand der Technik, aber auch aus anderen Vorbenutzungen und sonstigen der Öffentlichkeit zugänglichen Beschreibungen miteinander zu kombinieren, um zu entscheiden, ob unter Berücksichtigung dieses (zusammengenommenen) Standes der Technik die Erfindung naheliegend war (USPTO: "Obvious"), oder ob die erfinderische Tätigkeit bejaht werden kann.

Besteht etwa die angemeldete Erfindung aus einer Vorrichtung mit vier kennzeichnenden Merkmalen, und ist aus einem anderen Dokument bereits etwas Ähnliches mit drei dieser Merkmale bekannt, und gibt es davon unabhängig eine dasselbe Gebiet betreffende weitere Quelle, in der zwar nicht alle diese drei Merkmale, aber exakt das vierte Merkmal bekannt ist, so könnte es nahegelegen haben, beide Dokumente miteinander zu kombinieren, um zum Erfindungsgegenstand zu gelangen. Dafür muss aber ein Anlass bestanden haben, sonst kann die erfinderische Tätigkeit nicht verneint werden. Die Übertragung eines auf einem anderen technischen Gebiet bekannten Mittels zur Lösung einer Aufgabe auf dem patentgemäßen Gebiet kann schutzwürdig sein, wenn der Fachmann nicht direkt darauf kommt, eine solche Übertragung vorzunehmen, oder wenn der erreichte technische Erfolg überraschend war. Vor allem bei der Übertragung auf entfernter liegende technische Gebiete oder die Überwindung besonderer Schwierigkeiten bei dieser Übertragung lässt die erfinderische Tätigkeit meist bejahen.

Entdeckt der Erfinder lediglich eine neue Funktion eines bereits bekannten Arbeitsmittels, dann scheidet eine Patentierung in der Regel aus, da es sich ja eben nur um eine "Entdeckung" handelt. Wird eine bekannte Vorrichtung aber abgewandelt, ihr eine neue Gestalt gegeben, um die neue Funktion erfüllen zu können, dann kann die Patentierbarkeit wiederum gegeben sein.

Werden zwei technisch voneinander unabhängige Gegenstände schlicht miteinander kombiniert (Bleistift und Radiergummi), ohne dass sich hierdurch eine neuartige und einheitliche Wirkung ergibt, so liegt keine Erfindung vor. Werden hingegen mehrere Einzellinsen miteinander kombiniert, so dass sich ein Prismenfernglas oder das Mikroskop ergibt, so stellt dies einen einheitlichen neuen Gegenstand mit neuer Wirkung dar, der selbst-verständlich patentiert werden kann.

Wird ein bisher verwendetes Mittel, beispielsweise ein Befestigungsmittel (Schraube statt Nagel oder Niete), ein Axial-Gebläse statt eines Radial-Gebläses usw. verwendet, dessen Funktion gleichwertig ist, und die der Fachmann ohne weiteres auch als gleichwirkend erkennt, so liegt in einem solchen Austausch in der Regel keine patentierbare Erfindung, es sei denn, durch das Austauschmittel werden überraschende Wirkungen oder besondere Vorteile, Kosteneinsparungen oder dergleichen erzielt.